M. Nick: Die keltischen Münzen der Schweiz: Katalog und Auswertung

Titel
Die keltischen Münzen der Schweiz: Katalog und Auswertung.


Autor(en)
Nick, Michael; Markus, Peter; Hugo W., Doppler; Susanne, Frey-Kupper
Reihe
Inventar der Fundmünzen der Schweiz 12
Erschienen
Bern 2015: Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Anzahl Seiten
1680 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Urs Niffeler

Der jüngst erschienene Band präsentiert — zum ersten Mal seit Heinrich Meyers «Beschreibung der in der Schweitz gefundenen gallischen Münzen» (1863) — das keltische und keltischzeitliche Münzmaterial: 3353 keltische, 35 griechische und 44 römische Münzen, die in der Schweiz zum Vorschein kamen. Zwei «aber» zum Anspruch des Titels müssen eingeflochten werden: Aus dem Kanton Waadt sind ausschliesslich bereits publizierte Stücke aufgenommen. «Zahlreiche Funde befinden sich … noch in Bearbeitung» liest man S. 1341; sie standen für die Studie nicht zur Verfügung. Umgekehrt sind auch die beiden im Fürstentum Liechtenstein entdeckten keltischen Münzen aufgenommen. Angesichts der eben genannten Stückzahl verwundert es nicht, dass das zeitliche Ende der Fundaufnahme uneinheitlich ist. Es liegt je nach Kanton zwischen 2006 und 2013.

Den Löwenanteil macht der Catalogue raisonné aus (Teile 2 und 3, S. 470–1680): Oberstes Ordnungskriterium sind die Kantone, innerhalb nach Gemeindenamen, in beiden Ebenen alphabetisch geordnet. Ein Kantonskapitel wird jeweils eingeleitet mit einer sehr knapp gefassten Forschungsgeschichte, der Charakterisierung der Fundstellen und Münzen, wo nötig einer Quellenkritik und Beurteilung zweifelhafter Fundortangaben (z.B. Aargau, S. 470f., ebenso Bern, S. 923f.); es folgen wenige Zeilen zur Frage, welche und bis zu welchem Fundjahr kantonale Bestände erfasst wurden, sowie eine Fundstellenkarte. Auf der Ebene der Gemeinden beginnt das Kapitel mit den Angaben zur jeweiligen Grabung, inklusive Literaturhinweisen. Diese im Fall grosser Fundstellen wie Augst, Avenches, Martigny etc. sogar mit Karte versehenen Einleitungen umfassen Angaben zur Zusammensetzung des Bestandes, zur Fundstelle sowie allgemein zu den Münzen (Forschungs- und Sammlungsgeschichte, allenfalls Fundzusammenhang u.a.m.). Danach sind die Stücke einzeln präsentiert, gemäss dem gut eingeführten und in der Schweiz allgemein anerkannten und verwendeten IFS-Standard, der den Quervergleich und das widerspruchsfreie Auffinden eines Stücks erlaubt: Nominal, Zeitstellung, Bezeichnung des Vorder- und des Rückseitenbildes, Typenbezeichnung, Material, Gewicht, Durchmesser, Stempelstellung, Erhaltung, Publikationsort und Inventarnummer am Aufbewahrungsort. Auf den Tafeln abgebildet sind in der Regel alle zugänglichen unpublizierten Münzen, darüber hinaus Stücke, die an schwer zugänglicher Stelle vorgelegt wurden, ausserdem vereinzelte Gesamtbestände (z.B. jene aus Augusta Raurica). Die zugehörigen Fotos (zu finden im Teil 1) sind schwarz-weiss. Die Objekte sind im Massstab 1:1 abgebildet; wer sie grösser sehen möchte und (zumeist) farbig, sei auf die mitgelieferte CD-ROM verwiesen, die ausserdem tabellarische Erfassungen enthält. Die Benutzung setzt allerdings voraus, dass man über ein entsprechendes Laufwerk verfügt; hilfreich wäre es, wenn die Fotos auch auf der IFS-Webpage zugänglich wären …

Der umfangreiche und sehr präzise Katalog ist damit eine Quellenedition erster Güte. Das IFS erfüllt damit seinen Kernauftrag. Dieser Teil wird zweifellos jener sein, der über lange Zeit Bestand haben wird — mit Ergänzungen von Funden aus den Jahren nach dem Erfassungsende und eben den Waadtländer Münzen. Mit der gewählten Form schafft das IFS zugleich die Basis für eine elektronische Vernetzung der Schweizer Datenbestände mit jenen anderer Länder — erste Schritte sind getan, das Projekt ist also unterwegs (s. dazu auf der Webseite des IFS, «Münzen online»: http://www.fundmuenzen.ch/dienstleistungen/datenbanken/muenzen.php).

Über die Edition von Quellen hinaus geht der «Teil 1: Auswertung und Tafeln». Hier entwickelt der Autor eine Geldgeschichte der heutigen Schweiz vom 3. bis ans Ende des 1. Jh. v.Chr., mit einer Erweiterung bis zum weitgehenden Auslaufen der Verwendung keltischer Münzen im Zahlungsverkehr in spätaugusteischer Zeit. Basis ist die Analyse von Typologie, Chronologie und Verbreitungsbild der latènezeitlichen Münzen der heutigen Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein (Kap. 1). Insbesondere im Fall der Ninno-Quinare wird man mit der laufenden Datierungsdiskussion konfrontiert. Im Kapitel 2 entwirft der Autor das Bild einer in drei Phasen (die er weiter aufteilt) gegliederten Entwicklung: Die älteste (ca. 250–150 v.Chr.; S. 117–126) bezeichnet er als «Goldhorizont», in dem noch nicht von einer eigentlichen Geldwirtschaft auszugehen sei. Vielmehr seien die Objekte zur Reichtumsakkumulation und für den rituellen Gebrauch verwendet worden (S. 125–127). Grundsätzlich leuchtet die Interpretation ein. Allerdings ist davor zu warnen, das Bild, das wir aufgrund der Funde erhalten, für repräsentativ zu halten: Edelmetall wurde zu allen Zeiten umgeschmolzen und für andere Zwecke wiederverwendet. Es ist also mit einem erheblichen «Verlust» zu rechnen, wie eine Rechnung verdeutlichen mag: In der Schweiz wurden in der Grössenordnung von 22 500 keltische Münzen gefunden. Davon stammen 80% (!) aus einem einzigen Fund, nämlich dem Potinklumpen aus Zürich-Alte Börse! Anders gesagt: In Gräbern und Opferplätzen waren die Münzen dem Zugriff entzogen, hatten also grössere Chancen, erhalten zu bleiben und nicht als Material für andere Objekte zu dienen; es ist mit einem sehr grossen Anteil umgeschmolzener Münzen zu rechnen.

Der mittlere Abschnitt (S. 126–137), entsprechend der Phase LTD1, ist charakterisiert durch Potin- und in geringerem Mass Silbermünzen. Die Funde stammen vorwiegend aus Grosssiedlungen, kaum hingegen aus ländlichen Siedlungen. Es fällt auf, dass Münzfunde zudem in jenen Regionen äusserst selten sind, in denen die Laugen-Melaun-Keramik zum üblichen Inventar gehört. Es dürfte kaum Zufall sein, dass die beiden Münzen vom Ochsenberg (Wartau SG) aus einem Brandopferplatz und jene vom Gutenberg (Balzers FL) im Bereich der eisenzeitlichen Kleinbronzen («Mars von Gutenberg» etc.) gefunden wurden. Über die Fundumstände der beiden Silberstatere aus Mels SG-Castels, um die Serie der zeitlich passenden Münzen der Region zu vervollständigen, ist nichts bekannt. Die Andersartigkeit der Bestände aus dem Tessin und aus dem Wallis schliesslich passt gut zum Bild, das sich anhand von Befunden und archäologischem Material gewinnen lässt.

Den jüngsten Abschnitt (S. 137–187), weitgehend mit LTD2 gleichzusetzen, bezeichnet der Autor als «Silberhorizont» (v.a. Büschel , Ninno , Kaletedou- und Altenburg-Rheinaus-Quinare); er betont aber, dass zu dieser Zeit auch neue Potintypen auftauchen. Den Abschluss bildet ein Kapitel zum Umlauf latènezeitlicher Münzen in römischer Zeit.

Von seiner Ausstattung und Aufmachung her entspricht der Band «Die keltischen Münzen der Schweiz» dem hohen Standard, den das IFS mit den Editionen der kantonalen Bestände der verschiedensten Epochen gesetzt und befolgt hat. Das Grundlayout hingegen hat für das Lesen seine Tücken, wie das Beispiel der Doppelseite 168/169 zeigen mag: Die dem Lauftext sehr/allzu ähnliche Schrift der Kommentare sowie die Anordnung der Grafiken Abb. 133–135 hemmen den Fluss der Lektüre erheblich; wo ist die Fortsetzung des Wortes «Hügel » (S. 168)? Es sei verraten: S. 169, linke Spalte, ganz unten. Vermutlich wären eine sich vom Lauftext deutlich unterscheidende Schrift, eine stärker als Block ausgebildete Anordnung der Abbildungen und das Zusammenfassen der Fussnoten einer Doppelseite auf nur einer Seite dem Lesefluss zuträglich.
So oder so: Die Quellenedition ist überaus wertvoll, die entworfene Geldgeschichte ein substanzieller Diskussionsbeitrag.

Zitierweise:
Urs Niffeler: Rezension zu: Michael Nick, unter Mitarbeit von Markus Peter, Hugo W. Doppler und Susanne Frey-Kupper, Die keltischen Münzen der Schweiz: Katalog und Auswertung. Inventar der Fundmünzen der Schweiz 12. Bern 2015. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 99, 2016, S. 264.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 99, 2016, S. 264.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit